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Fingerspitzengefühl gesucht

By 23. Februar 2012Allgemein

Eine Bußgeldsache aus dem Straßenverkehr und es geht vergleichsweise schon um etwas. Für gestern war der Termin anberaumt. Vorgestern werde ich vom Mandanten telefonisch darüber informiert, dass er soeben mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde und dort zunächst stationär verbleiben müsse. Das teile ich faxwendend dem Gericht mit mit der Bitte, den Termin doch kurzfristig aufzuheben. Kommt aber keine Aufhebung, also rufe ich kurz bevor ich mich auf die einstündige Fahrt zum Gericht begebe, beim Gericht an. Die Sekretärin ging telefonisch sofort in Verteidigungshaltung und sagte, mehr als das der Richterin vorlegen könne sie nicht und das habe sie sofort getan. Die Richterin interessierte das alles also gar nicht.

Im Termin meinte sie dann, der Mandant sei unentschuldigt nicht da, weil er (noch) kein Attest vorgelegt habe, was meinen Vortrag belegen würde. Deswegen müsse sie den Einpruch gegen den Bußgeldbescheid mit Urteil verwerfen. Auf meinen Einwand, der Mandant sei mit dieser Erkrankung definitiv entschuldigt, allenfalls fehle es noch an der Glaubhaftmachung der Entschuldigung, die wegen der kurzfristigen Aufnahme nachgereicht werden könne und werde und man soll die Verhandlung doch einfach aussetzen, erntete ich Achselzucken.

Und so wurde der Mandant verurteilt. Im Ergebnis muss ich jetzt einen sogenannten Wiedereinsetzungsantrag stellen beziehungsweise einen Rechtsbeschwerdeantrag und beides wird auch durchgehen. Wir bekommen also schon noch unsere richtige Verhandlung. Aber dennoch liegt jetzt das Risiko bei dem Mandanten, denn dessen Anwalt muss solche Anträge erstmal können (es soll gerade in Verkehrsordnungswidrigkeiten öfters Kollegen geben, die mal so nebenbei verteidigen).

Im Ergebnis war die Entscheidung, hier trotz meiner Ankündigung zu verhandeln und den Mandanten (zunächst) zu verurteilen, zwar rechtlich vertretbar. Aber es war nicht die einzige rechtlich vertretbare Entscheidung. Die Richterin war der Auffassung, der Mandant sei nicht entschuldigt gewesen, weil er kein Attest hatte. Das ist aber falsch. Mit einem (Verdacht auf) Herzinfarkt ist man sogar mehr als entschuldigt. Was allein fehlt ist noch das Attest und das ist die „Glaubhaftmachung der Entschuldigung“. Somit fehlte der Richterin schlicht das Fingerspitzengefühl, bei einer solchen Sachlage auch einfach mal einem Verteidiger und seinem Mandanten zu glauben. Gerade eine solche Erkrankung denkt man sich nicht aus und falls doch würde das für die kommende Verhandlung ein besonders schlechtes Licht auf den Mandanten werfen. Einfach ohne Rücksicht zu verhandeln mag also verfahrensrechtlich vertretbar sein – richtig war es jedenfalls nicht. Und Geld kostet es außerdem.