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Alltäglicher Richter-Rechtsbruch

By 8. Oktober 2012Allgemein

Die Vorschrift, gegen die Richterinnen und Richter nach meiner internen gefühlten Statistik am häufigsten, nämlich nahezu immer, verstoßen, ist die des § 306 II StPO. Dort heisst es:

Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Beschwerdegericht vorzulegen.

Es geht also um die Zeit, innerhalb der ein Gericht über die gegen seine (eventuell fehlerhafte) Entscheidung eingelegte Beschwerde entscheiden muss. Wenn das Gericht seinen eigenen Fehler nicht erkennen will, sind die Akten sofort, spätestens nach drei Tagen der nächsten Instanz vorzulegen. „Vorzulegen“ kann man auch so interpretieren, dass die Akten am dritten Tag dort schon auf dem Schreibtisch liegen müssen. Wie auch immer – sofort soll es sein.

Leider hält sich daran fast niemand. Es mag im Büroalltag auch nicht einfach sein, diese Zeit einzuhalten. Manchmal dauert es bei entsprechender Organisation schon fast einige Tage, bis ein angekommener Brief die zuständige Person erreicht. Aber das kann nicht das Problem der Beschuldigten sein. Bei Beschwerden geht es nicht selten um existenzielle Dinge, wie etwa die Überprüfung, ob eine Inhaftierung überhaupt zulässig ist. Da sind schon ein paar Stunden ungerechtfertigten Freiheitsentzuges mitunter extrem belastend. Es gibt aber auch anscheinend Richterinnen und Richter, die diese Vorschrift gar nicht kennen. So melde ich mich gerade für einen Mandanten an ein ostwestfälisches Landgericht und bitte um meine Beiordnung zum Pflichtverteidiger in dessen Sache. Termin ist schon in knapp 20 Tagen. Zur großen Überraschung kommt eine Ablehnung des Antrages. Mandant (laut Gutachten -also gerichtsbekannt- nicht in der Lage, einfachste Dinge des täglichen Lebens ohne fremde Hilfe zu bewältigen) könne sich selber verteidigen. Man glaubt es manchmal nicht. Eine Stunde nach Erhalt dieses Briefs lag die Beschwerde per Fax wieder beim Landgericht. Und was passiert? Genau – innerhalb der 3-Tages-Frist mal gar nichts. Nach einer Woche erhalte ich ein Schreiben, dass eine Vollmacht vorgelegt werden solle. Mann, mann. Also geht retour eine kostenfreie Fortbildung meinerseits an das Gericht, dass man (gähn) keine schriftlichen Vollmachten vorlegen muss und ich desweiteren erstaunt bin, warum die Akte nicht binnen der gesetzlichen Frist beim Oberlandesgericht vorliegt. Der Termin naht und das Gericht scheint andere Sorgen zu haben. Nun, ich werde zwar trotzdem fahren, aber feierlich ist das alles nicht. Wieder mal auf eigenes Kostenrisiko. Scheint so gewollt zu sein von dem Herrn Richter.

Aber wie gesagt, leider ist das alles kein Einzelfall. Im Gegenteil könnte ich nicht sagen, wann diese Frist mal eingehalten wird. Zumal diese Frist auch nur die letztmögliche ist, denn vorzulegen ist eigentlich „sofort“ und nicht erst in drei Tagen. Richter Gnadenlos Roland Barnabas Schill kassierte seinerzeit eine Anklage wegen Rechtsbeugung, weil er eine Haftbeschwerde zwei Tage hat liegen lassen, anstatt sie sofort weiterzuleiten (in einer Sache, in der es um drei Tage Haft ging, was diese Verzögerung erst recht pervers macht). Leider wurde er im Ergebnis freigesprochen.